Gründe für eine getreidefreie Fütterung

Der Werdegang des Pferdes vom landwirtschaftlichen Nutztier zum Sport- und Freizeitpartner stellt veränderte Anforderungen an seine Fütterung. Nicht für jedes Pferd sind die früher üblichen Rationen, bestehend aus Heu, Hafer und Pellets, geeignet. Hierfür kann es unterschiedliche Gründe geben. Einige davon möchten wir im Folgenden näher erläutern.

Energiedefizite

Wenn Pferde über ihren Erhaltungsbedarf hinaus Leistung erbringen, reicht eine reine Heufütterung in der Regel nicht mehr aus. Die Ration richtet sich ganz nach Trainingsanforderung und Pferdetyp, wobei stärker beanspruchte Pferde häufig auf größere Mengen Kraftfutter angewiesen sind.
Bei der Erstellung der Ration sollten einige Faustregeln nicht außer Acht gelassen werden, bspw. die maximal aufgenommene Stärkemenge pro Mahlzeit (1 g Stärke je 1 kg Körpergewicht). Liegt der Wert der Mahlzeit darunter, kommt es nur zu einem moderaten Stärke-Übertritt vom Dünndarm in den Blinddarm. Wird die maximal empfohlene Stärke-Menge überschritten, kann sich das negativ auf den Organismus auswirken. Stärke wird im Dickdarm durch Mikroorganismen fermentiert, dabei entstehen Laktat und kurzkettige Fettsäuren, welche für einen Abfall des pH-Werts sorgen. Flutet übermäßig viel Stärke im Dickdarm an, wird der pH-Wert soweit gesenkt, dass es zu einer Veränderung der Mikroflora kommt. Die Folgen sind vielseitig und können sich in Übersäuerung, Koliken bis hin zu Hufrehe äußern.

Um diesen Problemen vorzubeugen, bietet sich der Einsatz eines getreidefreien Futters an, wenn durch Hochleistung die Energiemenge aus der stärkereichen Kraftfutterration nicht mehr ausreicht. Die Energie wird hierbei über Fasern, Proteine, Öle und Ölfrüchte bereitgestellt.

Stoffwechselerkrankungen durch Übergewicht (EMS & Hufrehe)

Wird der Energiebedarf des Pferdes überschätzt hat dies nicht selten Übergewicht zur Folge. Vom Equinem Metabolischem Syndrom (EMS) spricht man, wenn das Pferd mehrere Typische Anzeichen zeigt, dazu gehören Übergewicht bzw. Fettleibigkeit, Insulinresistenz bzw. -dysregulation und Hufrehe. Für diese Pferde sollten diätetische Maßnahmen ergriffen werden, welche in erster Linie eine energiearme Ration bedeuten.
Neben einer Heuration (1,2-1,5 kg je 100 kg Soll-Körpergewicht), die auf mehrere Portionen über den Tag verteilt werden sollte, kann ein energiearmes, stärke- und zuckerreduziertes Krippenfutter gereicht werden. Dies ist zu empfehlen, wenn es bei der Fütterung der anderen Pferde im Stall zu Frustration kommt oder um das Mineralfutter unterzumischen. Eine ausgewogene Mineralisierung ist zur Unterstützung des Stoffwechsels dringend zu empfehlen.
Zudem ist Bewegung grundlegend für eine erfolgreiche Gewichtsreduktion (außer im akuten Hufrehe Fall und bei Schmerzen!).

Stoffwechselentgleisungen durch Equines Cushing Syndrom (ECS) / PPID

Das Equine Cushing-Syndrom, korrekter bezeichnet als Pituitary Pars intermedia Dysfunktion (PPID), ist eine funktionelle Störung der Hypophyse. Betroffen sind überwiegend ältere Pferde. Anzeichen für PPID sind Muskelschwund, abnorme Fettpolster (auf der Kruppe, am Mähnenkamm und über den Augen), wiederkehrende Hufreheschübe, Leistungsschwäche, Infektanfälligkeit, Apathie, Schwitzen, vermehrtes Trinken und übermäßiger Urinabsatz sowie das besonders auffällige meist ganzjährig langes und welliges Haarkleid.

Neben der Therapie durch den Tierarzt sind diätetische Maßnahmen erforderlich, um das Pferd langfristig vital zu halten. Neigt das Pferd eher zu Übergewicht oder hat zusätzlich EMS, gelten die voran gegangenen Maßnahmen. Doch meist sind PPID betroffene Pferde eher schlank und schwerfuttrig, hier gilt es das Pferd neben Heu mit hochwertigen Energielieferanten zu versorgen. Bestens geeignet sind dafür Luzerne, Keimlinge, Ölfrüchte bzw. Öle und Erbsenflocken, sie bilden eine stärke- und zuckerarme Energiequelle.

Magengeschwüre & Kotwasser

Evolutionsbedingt ist der Pferdemagen an eine kontinuierliche Aufnahme raufaserreichem Futter angepasst, daher produziert er 24-Stunden täglich Magensäure. Entstehen Fresspausen von über vier Stunden, beginnt die Magensäure die hochempfindliche Magenschleimhaut zu reizen. Durch weitere Faktoren, wie Stress (psychisch als auch physisch) und getreidelastige, faserarme Futterrationen, kann aus der Reizung eine Magenschleimhautentzündung (Gastritis) und letztendlich ein Magengeschwür (Ulcus ventriculi) entstehen. Beim Verdacht auf ein Magengeschwür sollte immer ein Tierarzt hinzugezogen werden. Neben der medikamentösen Therapie durch den Tierarzt gilt es die Fütterung  anzupassen. Ein Magenschutz sowie eine Ration mit niedrigem Stärke- und Zuckergehalt unterstützen die Genesung.

Von Kotwasser betroffene Pferde scheiden beim Kotabsetzen oder unabhängig davon freies Darmwasser aus. Das Allgemeinbefinden der betroffenen Pferde ist meist kaum oder nur wenig beeinträchtigt, doch Kotwasser führt zu Verschmutzung und Verklebung von Schweif und Fell an den Hinterbeinen mit Hautirritationen als Folge. Anscheinend gibt es bei kaum einer anderen Symptomatik so viele verschiedene Ursachen mit entsprechend unterschiedlichen Behandlungsansätzen. Mögliche Gründe können Zahnprobleme, abrupter Futterwechsel, überhöhte Kraftfuttermengen, Allergien bzw. Unverträglichkeiten, mangelhafte Futterhygiene, Parasiten, unzureichendes Fütterungsmanagement, Dysbiosen der Darmflora, Mikronährstoffmängel, Entzündungen im Verdauungstrakt, Organfunktionsstörungen, Entgiftungsstörungen (Leberprobleme), Stress, Silagefütterung, Sand im Verdauungstrakt usw. sein.

Neben der Ursachenforschung und Optimierung von Haltung und Fütterungsmanagement hat sich eine Umstellung der Fütterung auf eine getreidefreie Ration bei Kotwasser und Magengeschwüren  bewährt. Zum Gewichtsaufbau eignen sich die bereits genannten Energiequellen. Bei empfindlichen Pferden kann die dauerhafte Fütterung mit einer getreidefreien Magen-Darm-Diät von Vorteil sein, um ein wiederholtes Auftreten von Magenschwüren und Kotwasser vorzubeugen. Je nach Fütterungszustand des Pferdes sollte bestenfalls 24-Stunden Heu zur Verfügung stehen. Stress für das Pferd sollte unbedingt vermieden werden.

Muskelprobleme: Kreuzverschlag, PSSM & Shivering Syndrom

Bei allen akuten und auch chronischen Problemen der Muskulatur empfiehlt sich eine moderate Versorgung mit Kohlenhydraten. Zu den vorübergehenden Problemen gehört der akute Kreuzverschlag (Sporadic Exertional Rhabdomyolysis - SER), der in erster Linie durch falsche Fütterung und/oder Überanstrengung bzw. unsachgemäßes Training entsteht. Zu den chronischen Muskelproblemen zählen die Polysaccharid Storage Myopathy Typ 1 (PSSM) und der chronische Kreuzverschlag (Recurrent Exertional Rhabdomyolysis - RER). Dem RER liegt immer ein Stoffwechselproblem zu Grunde, Stress gilt hier als einer der Hauptauslöser. Betroffen sind häufig Vollblüter in intensivem Training. PSSM ist genetisch bedingt und tritt vor allem bei Westernpferderassen und Kaltblütern auf (man geht davon aus, dass ca. 25 % der Quarter Horses betroffen sind). Für PSSM gibt es keine Heilung.
Ohne entsprechendes Management und einer angepassten Fütterung sind erkrankte Tiere nur noch bedingt oder gar nicht mehr reitbar.

Eine weitere Form von Muskelproblemen ist das Shivering Syndrom. Es äußert sich durch Muskelzittern, ruckartigen Bewegungen und unkontrollierten Zuckungen, welche sich vor allem an den Hinterbeinen zeigen. Besonders auffällig ist, dass betroffenen Pferden das Geben der Hinterhufe und das Rückwärtsrichten extrem schwer fällt, je nach Verlauf können sie überhaupt nicht rückwärtsgehen. Betroffen sind vor allem größere Hengste und Wallache (durchschnittlich 173 cm Stm.)

Bislang liegen noch keine eindeutigen Hinweise auf die Ursache vor, diskutiert werden Traumata, genetische Veranlagungen und neurologische Probleme. Bekannt ist, dass Stress eine große Rolle spielt und dessen Vermeidung im Umgang mit einem Shivering-Pferd dringend berücksichtigt werden sollte. Heilbar ist Shivering nicht, aber mit den passenden Haltungs-, Trainings- und Fütterungsmaßnahmen können betroffene Pferde ein beschwerdefreies Leben führen.

Die Ration für Pferde mit Muskelproblemen sollte aus einer besonders kohlenhydratarmen Diät bestehen (Stärke- und Zuckergehalt < 10 %). Auf Getreide und stark zuckerhaltige Komponenten sollte gänzlich verzichtet werden. Bis zu 15 % der täglichen Energiemenge kann in Form von Fetten bereitgestellt werden. Gute Quellen sind Maiskeim- oder Leinöl. Da die Grundfütterung (Heu) in der Regel nicht über genügend Spurenelemente verfügt, um den Tagesbedarf zu decken, sollte ein Mineralfutter ergänzt werden. Weiterhin kann das Muskelgewebe durch eine zusätzliche Fütterung mit Antioxidantien vor Schäden geschützt werden. Studien weisen darauf hin, dass Pferde von einer erhöhten Versorgung von muskelrelevanten Nährstoffen wie Magnesium, Mangan, Selen und Vitamin E besonders profitieren können.

 

Literatur:

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